Buchtitel: Die Schachspielerin
Autorin: Bertina Henrichs
Die Rezension zur Schachspielerin ist mein Start in die Weltenbummlerchallenge 2017. Wir beginnen also auf Naxos (Griechenland) und begegnen Eleni.
Eleni ist ein Zimmermädchen mit einem für diese kleine Urlaubsinsel traditionellem, unspektakulärem Lebenslauf.
Sie ist vor Ort groß geworden, früh aus der Schule ausgeschieden und hat den ersten passenden Mann geehelicht, von dem ein Antrag kam. Mittlerweile ist Eleni zweifache Mutter von Teenagerkindern und hängt in ihrer täglichen Arbeit als Zimmermädchen in einem der lokalen Hotels gern ihren eigenen Gedanken über die Touristen und die weite Welt nach.
Der bahnbrechende Impuls
Ein unerwarteter Zwischenfall in ihrer exakten Routine lenkt sie aus der Bahn. Eleni fängt an, sich für ein scheinbar weltgewandtes Pariser Pärchen zu interessieren und stößt aus Versehen in deren Zimmer beim Bettenmachen eine Schachfigur auf einem Schachbrett um. Überfordert von der Situation, wohin sie nun diese Figur zurückstellen soll, lässt sie das Schachspiel und die damit verbundenen Phantasien immer mehr ihre Gedankenwelt beherrschen.
Wir lernen bereits an dieser Stelle im Buch wie eingepfercht Elenis Gemüt in den Alltagstraditionen ihrer Heimat funktioniert. Ihr Interesse an dem Schachspiel ist anfangs nicht selbstbezogen. Um einen inneren Konflikt mit ihren Gewohntheiten und den Erwartungen anderer zu meiden, schmiedet sie zu Beginn den Plan, ihrem Mann ein Schachspiel zum Geburtstag zu schenken. So – das ist die herrliche Ausrede – könnten sie beide was Neues erlernen. Allein der Kauf eines Schachspiels wird zu einem Spießroutenlauf in dem Inselstädtchen, in dem jeder jeden und alles sieht.
Der Trick ist ein Verbündeter
Die Not, ihr Interesse am Schachspiel und den Kauf selbst zu verheimlichen, lässt Eleni nach einem Verbündeten Ausschau halten.
Sie vertraut sich Kouros, ihrem alten Schullehrer in ihrem Heimatdorf an. Er erklärt sich bereit beim Kauf zu helfen und entscheidet sich – glücklicherweise – für ein computergesteuertes Schachbrett. Nun zeigt sich das für den Leser bereits Absehbare. Der Ehemann von Eleni – Panos, der Mechaniker – hat nicht das geringste Interesse an dem Spiel und hält die ganze Geschenkidee für einen Spleen.
Das Spiel lässt Eleni aber nicht los. Sie beginnt an freien Nachmittagen im beiliegenden Lehrbuch zu blättern, Spielfiguren aufzustellen und erste Züge zu üben. Schnell entwickelt sich eine ganz eigene Welt für sie und so benötigt sie bald wieder einen Helfer. Nämlich als Spielpartner. Erneut wendet sie sich an den einsamen alten Lehrer.
Zu ihrem Glück findet dieser in der Situation und dem unerwarteten Interesse der jungen, einfachen Frau ein gewisses Amüsement oder eine Abwechlung. So richten die beiden regelmässige Lehrtage ein.
Emotionen beim Lesen
Besonders hat mich über diese erste Hälfte des Buchs die mit maßgeschneiderten Worten beschriebene Wahrnehmung von Eleni und deren Umwelt eingenommen. Obwohl deutlich wird, dass es sich nicht um einen gebildeten Menschen handelt, findet die Autorin einen Weg nicht entwertend darüber zu schreiben und trotzdem Elenis Gedankenwelt und Talent herauszuarbeiten. Phantastisch erlebt man die emanzipatorischen Schritte von Eleni anhand deren Gedanken zum Schachbrett und den Figuren mit. Besonders ist mir im Gedächtnis die Szene hängen geblieben, in der Eleni darüber grübelt, dass die mächtigste Figur des Spiels die Dame ist und nicht der König…und wie unbeweglich und starr der König ist. Ganz wie ihr Ehemann…
Wunderbar sind die ersten Begegnungen zwischen Eleni und Kouros – ihrem Lehrer. Die Wandlung, die Eleni in ihrer Leidenschaft für das Spiel vollzieht wird ab diesem Punkt auch immer wieder aus Kouros Sicht beleutet und man kann es geradezu vor Augen sehen, wie Eleni aus ihrer arbeitsamen Ehefrau & Mutter-Rolle in ihr geheimes zweites Ich schlüpft.
Der Preis des Glücks?
Natürlich bleibt es nicht aus und Elenis Geheimnis findet doch ans Licht. Nicht unerwartet ist die ablehnende Reaktion ihrer Umwelt. Eleni lässt sich nicht beirren. Wie sie es weiter schafft, dem Druck ihrer Gesellschaft zu trotzen und ihrem Weg der neu gewonnenen Leidenschaft zu gehen, möchte ich an der Stelle nicht verraten. Zu großer Spoiler 🙂
Ein Manko?
Mir persönlich hat die Lektüre sehr gut gefallen. Eine Kritik? Man könnte es als unbefriedigend empfinden, dass die Charaktere des Kouros und seines Freundes (Costa, der Apotheker) nicht weiter ausgemalt werden und dass deren Beziehung zueinander stets in Anspielungen verbleibt und nicht vertieft wird. Das Subtile, welches diesem Stil zugrunde liegt, hat mich selbst jedoch nicht gestört. Sicher geschmackssache.
Mehr Informationen & Hintergründe
Ich habe ein Bibliotheksexemplar (siehe mein Foto oben). Mittlerweile ist das Buch in einem sehr handlichen Kleinformat und mit neuem Cover bei Hoffmann & Campe erschienen (bzw. im dazugehörigen Atlantik Verlag). Siehe auch die Abbildung hier weiter unten. Für Kaufwütige: Klickt hier für den Verlagsshop oder hier für Thalia.

Neues Cover im Atlantikverlag – praktisches Miniformat
Wenn es Euch so viel Spaß macht wie mir die Locations Eurer Bücher nachzurecherchieren, schaut doch mal unter dem Wiki zu Naxos vorbei. Gleich auf den ersten Bildern ist das im Buch mehrfach erwähnte antike Torrelikt zu erkennen.
Information zur Autorin
Mehr Information zur Autorin findet sich hier. Sie hat übrigens mittlerweile drei weitere Bücher rausgebracht bei Hoffman & Campe, natürlich als paper oder e-book…
Zum Abschluss etwas Neugier meinerseits:
Habt ihr schon mal so ein Erlebnis gehabt, dass Euch aus heiterem Himmel ein völlig neues Thema gepackt hat? Und ihr an nichts anderes mehr denken konntet? So wie bei Eleni das Schach?
Freue mich über spannende Antworten in den Kommentaren!
Eure Kasia von nichtohnemeinbuch
P.S.: Unten noch ein Bild meiner kleinen Schachspielerin in Action 😉

Ob das wohl die Lebensleidenschaft wird??
2 Gedanken zu “Buch über Wandel und die Macht des Willens”