Mittendrin Mittwoch reloaded

Es ist kurz vor Weihnachten, mein Terminkalender sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und meine arbeitsbedingte Bloggerzwangspause wurmt mich mehr denn je. Da ich aber nebenher sehr wohl einer spannenden Lektüre fröhne, melde ich mich hiermit auch wieder aus der Versenkung.

Juli Zeh ist die Autorin und damit Ihr es wisst – eine meiner absoluten Lieblingsliteratinnen. Ihr gerade erst im Luchterhand Verlag erschienenes Buch „Leere Herzen“ besticht (mich zumindest) mit einem gnadenlosen, messerscharfen Blick auf uns Menschen und unsere Gesellschaft.

Wer-was-wo?

Nehmen wir jedoch einen kleinen Schritt zurück und werfen einen klassischen Blick auf den Inhalt des Werkes und die Protagonisten. Wir befinden uns in einer nicht allzufernen Zukunft in Deutschland. Haupt(anti)heldin ist Britta. Desillusioniert, keine Träume, Mann, Kind und Co-Inhaberin eines blühenden Geschäfts.

Sehr schnell wird klar, dass „Die Brücke“ – so nennt sich das Kleinstunternehmen -ein rechtlich und moralisch fragwürdiges Geschäftsmodell verfolgt. Auf hier nicht näher zu beschreibende Art machen Britta und ihr Geschäftspartner Babak, ein Programmiergenie, Geld mit dem Selbstmord von Menschen. Sie fliegen gern unter dem Radar und müssen sich keine Gedanken mehr um Rechnungen machen.

Bis sie scheinbar Konkurrenz bekommen. Wer ist der vermeintliche Wettbewerber? Geht es nur darum? Oder um mehr?

tim-marshall-114623

Copyright: Tim Marshall via unsplash.com

Weiterlesen

Auferstanden aus Ruinen

Ganz so dramatisch wie mein Titel fühlt sich mein erster Artikel nach der langen Umzugsauszeit auch wieder nicht an. Wer mich kennt weiß jedoch, dass eine Prise Pathos stets dabei ist.

Trotz des Schweigens hat sich literarisch meine Welt weiter gedreht. Nach dem Trip nach Österreich, siehe meine Rezension von „Der zweite Reiter“, ließ ich mich nach Übersee verfrachten. Herr Abir Mukherjee war hierbei mein Zeit- und Abenteuerreiseführer mit seinem Krimireihenauftakt „Ein angesehener Mann“.

Ein angesehener Mann von Abir Mukherjee

Cover „Ein angesehener Mann“ Rechte: HEYNE Verlag

Wohin geht die Reise?

Sie nahm mich mit in das Kalkutta von 1919 und stellte mich erneut einem ziemlich abgewrackten – wenn auch hochintelligenten und unerschrockenen – Ermittler vor. Sam Wyndham kehrt aus dem ersten Weltkrieg ins Nichts wieder, nachdem alle engeren Freunde im Krieg gefallen sind und seine geliebte Frau in seiner Abwesenheit einer Krankheit erlag.
Opiumsüchtig wie er ist – um Trauer sowie Einsamkeit zu betäuben – ergreift er die Chance als ihn ein ehemaliger Vorgesetzter in die Polizeitruppe nach Kolonialindien ruft. Er betritt die Welt einer Herrscherklasse, die voll ist von vorgeschobenem Gutmenschentum und egozentrischer Ausbeutung der einheimischen Strukturen.

Es wird ihm keine Zeit zur Assimilierung an diese für ihn wildfremde Welt gelassen. Nur wenige Wochen nach Dienstantritt wird ein hochrangiger Staatsbeamter brutal erstochen im Rotlichtviertel von Kalkutta aufgefunden. Ein am Tatort plump hinterlassener Zettel weist auf politisch motivierte Täter hin, die der englischen Herrschaft in Indien überdrüssig sind.

Glücklicherweise lässt sich Sam nicht von derart primitiv vorgeschobenen „Beweisen“ von anderen weitaus interessanteren Spuren ablenken. Weiterlesen

Gib mir mehr

In meiner MittendrinMittwoch Aktion hatte ich Euch ja bereits zwischen die Seiten von „Pandora im Kongo“ von von Albert Sánchez Piñol mitgenommen.
Dieser kleine Teaser mit seiner hervorragenden sprachlichen Varianz und der Situation zum Schmunzeln baute sich schnell zu einem spannungs- und wendungsreichen Roman aus, den ich bei sprichwörtlich jeder Gelegenheit aufgeschlagen habe.Pandora im KongoWas glaubt Ihr wohl, warum ich zuletzt vom Lesen und den Lesern in der U-Bahn und dem öffentlichen Verkehr geschrieben habe? Gemessen an den verschiedenen Lesegelegenheiten, die ich zwecks Weiterkommen für dieses Werk ersonnen habe, müsste ich noch Artikel über Badewannen, Klobesuche, weggeschickte Kinder und Ehemänner verfassen. Heute nehme ich mir endlich die Zeit und erzähle Euch etwas mehr über Thomas Thomson und sein literarisches Abenteuer im Kongo. Weiterlesen

Schneckenkönig – ein Erfolg auf ganzer Linie

Nach dem gestrigen Wutausbruch über ein wenig gelungenes Debüt möchte ich heute wieder in Engelszungen zu Euch sprechen über ein fantastisches – wenn auch nicht wirklich neues – Krimidebüt. Die Rede ist vom „Schneckenkönig“ von Rainer Wittkamp.

Schneckenkönig

Originalcover; Rechte: grafit Verlag

Ankündigung

Auf der Buchrückseite wir ein spleeniger Kommissar angekündigt. Einer den ein unüberlegter Angriff auf einen Kollegen in das dienstliche Exil verschlagen hat. Nämlich in die „Versorgung“. Die Abteilung für Büromaterial ist gemeint. Als Personalmangel die Leitung der Mordabteilung im Fall eines erstochenen Ghanaers dazu treibt ihn aus dem Exil zu holen, ergreift Martin Nettelbeck – der eben beschriebene – die Chance! Weiterlesen

Kunstraub & Läuterung

(Hör-)buchtitel: Das Mädchen mit den Smaragdaugen

Das Maedchen mit den Smaragdaugen von Carla Montero

(c) blanvalet

Autorin: Carla Montero

Ich habe mich den Audiobüchern auf meinem Blog schon lange nicht mehr gewidmet, diese Tendenz sei hiermit durchbrochen.
Zum Hörbuch Das Mädchen mit den Smaragdaugen muss ich gleich klarstellen, dass das Werk im deutschsprachigen Raum „nur“ als tatsächliches Buch oder auf Kindle existiert.
Meine Hörbuchversion ist auf Polnisch und nur im dortigen REBIS Verlagshaus erhältlich. Das sollte der Spannung und dem durchaus gelungenen Plot keinen Abbruch tun.
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Cover der Versionen unter Umständen abweichen können.

Zum Eingemachten

Nach einem Prolog, in dem dem Leser die Vorgeschichte des berühmten Bildes nähergebracht wird, erlebt der Leser einen Sprung in die Gegenwart und lernt eine der Hauptfiguren kennen – Ana, eine Kunsthistorikerin. Sehr einnehmend ist dieser Charakter nicht, die eigene Meinung von sich selbst zu Beginn der Geschichte nicht sehr gut. Selbst in einer kunstaffinen Familie groß geworden, lässt sie sich und ihr Leben zu 99 % von ihrem Verlobten diktieren. Dies ist der dubiose, dafür unglaublich wohlhabende, Geschäftsmann Konrad. Das eigene künstlerische Selbst lebt Ana nur noch versteckt und am Rande aus.

Konrad ist es auch, der ihr einen Brief zuspielt, in dem von einem geheimnisvollen wertvollen Bild die Rede ist, welches dem Renaissancemaler Giorgione zugeschrieben wird – „Der Astrologe“.
Weiterlesen

Kindliche Helden

Buchtitel: Das letzte Kind

Autor: John Hart

Was ist das? Worum dreht es sich hier?
Lange lässt John Hart seine Leser im Glauben, dass es sich um eine lange vor sich hingärenden Racheakt eines traumatisierten Kindes/Jugendlichen dreht, was hier produziert wurde. Erst die Perspektivenwechsel zwischen den Erzählern lassen nach und nach Zweifel zu, ob denn der Schein nicht doch trügt.

Plot nochmal in Kürze

Ein 13-jähriger Junge, der als Einziger dasletztekindnach dem tragischen Verschwinden seiner Zwillingsschwester, nicht vollständig zu Bruch geht. Der Vater verschwand von der Bildfläche kurz nach dem geheimnisvollen Unglück und die Mutter ergab sich in eine unheilvolle Drogenabhängigkeit. Nur er bleibt verbissen, wütend und klug „am Ball“. Am Racheball um es genauer zu formulieren. Auf der unaufhörlichen Suche nach der Auflösung des Verschwindens deckt er nach und nach Untiefen und Verbrechen der Kleinstadt auf bis zum Finale.

Seine Erzählperspektive ist hierbei nur eine von mehreren. Die Mutter der beiden Kinder, ein wohlwollender Ermittler und ein geheimnisvoller Fremder seien als andere Beispiele benannt.

Was macht die Spannung aus?

Diese Abwechslung ist ein erfolgreiches stilistisches Mittel, die Spannung in diesem Werk tatsächlich bis zum Unerträglichen hochzutreiben. Die Charaktere sind durch ihre Interaktionen im Buch so gut und überzeugend gezeichnet, dass die Identifikation mit der Wut und der Verzweiflung v.a. des Hauptakteurs nicht ausbleibt.
Spätestens ab dem Punkt legt man es nicht mehr aus der Hand.
Eines der absolut besten Bücher, die uns die letzten drei Jahre in die Finger gefallen sind.